Dresdner
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Montag, 16. September 2002
Vabanquespiel
auf dem Rücken von Schülern und Musiklehrern
Schütz-Konservatorium:
Mitarbeitern soll „vorsorglich“ gekündigt werden
Bei Eltern und Schülern des Dresdner
Heinrich-Schütz-Konservatoriums herrscht Bestürzung und Ratlosigkeit, zur
Personalversammlung am vergangenen Donnerstag flossen auch Tränen.
Finanzierungskonflikte würden auf deren Rücken ausgetragen, hieß es.
Betriebsratsvorsitzender Bernd Woschik sprach von einer "völlig überzogenen
und überstürzten Reaktion" des Vereinsvorstandes und der Geschäftsführung.
Am 4. September hatte der Vorstand des Trägervereins der Mitgliederversammlung
die Auflösung empfohlen und die Geschäftsführung mit der Kündigung sämtlicher
Arbeitsverhältnisse beauftragt. Zuvor bestätigte Ende August die Kunstabteilung
des Wissenschaftsministeriums nochmals schriftlich, dass im Regierungsentwurf
für den Doppelhaushalt 2003/04 keinerlei Zuschüsse für die sächsischen
Musikschulen mehr vorgesehen sind. Im Dresdner Konservatorium machen
Landesmittel ein knappes Drittel des Gesamtetats aus.
Noch im Juni war eine Fortsetzung dieser
Finanzierung von Minister Matthias Rößler zugesagt worden. Die Landesförderung
betrug bisher insgesamt 5,1 Millionen Euro und kam den Personalkosten, den
überregionalen Aufgaben der drei ehemaligen Landesmusikschulen, der
Begabtenforderung und dem Landesverband zugute. Offenbar ist Rößler aber in der
Kabinettsklausur Ende Juni überstimmt worden. Er informierte zunächst nicht
über den fehlenden Haushalttitel. Erst am 7. August teilte er dies dem
sächsischen Landesverband der Musikschulen mit. Da war mit dem 31. Juli die
Einspruchsfrist der Betroffenen bereits verstrichen.
Der Landesverband
informierte daraufhin am 13. August alle 35 Musikschulen und formulierte seinen
Protest. "Wir haben unseren Mitgliedern empfohlen, auf die
CDU-Landtagsfraktion einzuwirken, um den Regierungsbeschluss zu
korrigieren", sagt Geschäftsführer Wolfgang Nowak. Denn das Budgetrecht
und das letzte Wort in dieser Angelegenheit hat wahrscheinlich im Dezember das
Parlament. Dem Vernehmen nach soll der Minister selbst als Abgeordneter und
Vater von Musikschülern anders empfinden denn als Regierungsmitglied.
Warum hat der Vorstand des
Schütz-Konservatoriums die Entwicklung nicht abgewartet? In der Vorwoche tagte
auch der Arbeitskreis Kultur und Medien der CDU-Landtagsfraktion. Dessen neuer
kulturpolitischer Sprecher Roland Wöller ließ keinen Zweifel am eindeutigen
Beschluss, die direkte Landesförderung wie bisher fortzusetzen. Zu erwarten ist
also, wie schon vor zwei Jahren, eine Korrektur der Kabinettsvorlage. "Mir
blieb nichts anderes übrig, als vorsorglich zu kündigen und die
Vereinsauflösung zu empfehlen, weil wir sonst am Jahresende möglicherweise vor
der Insolvenz stehen", rechtfertigt sich Vorstandsvorsitzender Friedbert
Groß für das Schütz-Konservatorium. Eine Drohkulisse gegen die Staatsregierung
und die Legislative habe man damit nicht aufbauen wollen.
Unübersehbar hat der
Vorstand aber diese Gelegenheit genutzt, das ungeliebte Vereinsmodell endlich
loszuwerden. Nach fünf Jahren ehrenamtlichen Vorsitzes gibt Friedbert Groß
entnervt auf. "Das Modell funktioniert nicht, wenn die Zuschussgeber so
unberechenbar sind!" Ein Verein sei zwar flexibler, lebe aber von der Hand
in den Mund. Man ist den jährlichen Existenzkampf leid. Was Groß nicht sagt,
wagt Betriebsratsvorsitzender Woschik auszusprechen: Damit bot sich zugleich
die Chance, das dreiköpfige Direktorium aufzulösen. Insbesondere der
kaufmännische Direktor Günter Kaluza stand in einem Dauerkonflikt mit vielen
Lehrkräften und Schülereltern. Ihm und den beiden künstlerischen Direktoren Ina
Kronesser und Klaus Wilke ist ebenfalls gekündigt worden.
Niemand kann sich nach dem
ersten Schock vorstellen, dass die Kunststadt Dresden künftig ohne große
Musikschule dastehen sollte. Gesangslehrer Thomas Groß vom Betriebsrat
bestätigt zwar breite Solidarität unter den 102 festen und 135 freien
Lehrkräften. Die Gefahr liegt dennoch auf der Hand, dass sich ein Teil jetzt
verselbstständigt und Schüler mitnimmt. Die Vorzüge eines Konservatoriums,
Gruppenmusizieren, Begabtenförderung oder Fachberatung etwa, sind akut in
Gefahr.
Die Personalversammlung hat
sich überwiegend für eine Fortsetzung des gegenwärtigen Vereinsmodells ausgesprochen,
auch wenn es bereits 1996 bei der Privatisierung nur als zweite Wahl galt. Auch
Geschäftsführer Günter Kaluza hält dies nach wie vor für das richtige
Trägermodell. Er sieht sich gegenwärtig nur als Ausführender der
Vorstandsbeschlüsse und will die verheerenden ideellen Folgen nicht
kommentieren. Nach dem prinzipiellen Bekenntnis des Stadtrates zum
Konservatorium im Vorjahr stellt Kaluza allerdings die berechtigte Frage, was
die Stadt eigentlich wolle - nur eine schmale Musikschule oder ein anspruchsvolles
Konservatorium? Hier war vom Kulturdezernat noch keine klare Antwort zu
erfahren. Mittelbar wurde bekannt, dass Kulturdezernent Lutz Vogel dem Modell
eines kommunalen Eigenbetriebes zuneigen soll.
Doch so weit ist es noch
nicht. Zunächst einmal sind die Kündigungen rechtlich unwirksam, weil eine
solche faktische Betriebsstilllegung einen Sozialplan und einen
Interessenausgleich erforderte. Der Geschäftsführer rechnet mit einer Flut von
Klagen. Das Vermögen des Vereins fällt übrigens bei einer Auflösung zu gleichen
Teilen an die Stadt Dresden und den Freistaat, die dann haftbar gemacht werden
könnten. Doch dazu müsste erst einmal am 30. September die
Mitgliederversammlung der Vorstandsempfehlung folgen und mit
Dreiviertelmehrheit die Selbstauflösung beschließen.
Michael
Bartsch