Sächsische Zeitung
(Kultur/ Musik ), 14.09.2002
Kulturpolitik
Karl May oder Noten
Der Freistaat versucht
erneut, Musikschulen auf die Kulturräume abzuwälzen
Bernd Klempnow
Nicht nur zwei Flügel im
Fluss – die Flöha vernichtete bei der Flut zudem fünf Unterrichtsräume, den
Ballettsaal, Noten, Mobiliar und Instrumente. Auf gut 700 000 Euro wird der
Gesamtschaden in der Kreismusikschule Flöha/Freiberg geschätzt. Dennoch: vieles
sei zu reparieren oder zu ersetzen, mag es auch seine Zeit dauern, sagt die
Geschäftsführerin der Einrichtung, Christine Klecker: „Nur wozu alles wieder
aufbauen, wenn die Zukunft der Musikschule gefährdet ist.“ Denn der Freistaat
will laut Entwurf des Doppelhaushaltes 2003/2004 ab kommendem Jahr Musikschulen
nicht mehr fördern. Diese Aufgaben sollen die Kulturräume übernehmen, ohne das
deren Mittel erhöht werden. Der Freistaat würde so 5,1 Millionen Euro
einsparen.
Trotz Pisa: „lehrerfrei“
für tausende Schüler
Die Konsequenz dieser
Politik wäre fatal, betont Friedbert Groß. Der ehemalige Kultusminister
Sachsens ist Vorstandsvorsitzender des Trägervereins des Dresdner
Heinrich-Schütz-Konservatoriums, mit über 4 100 Schülern eine der größten und
wohl erfolgreichsten Einrichtungen von 35 bislang geförderten im Land. Der
Freistaat hatte sich 1995 vertraglich für den Verein ausgesprochen und seine
Unterstützung zugesagt, weil damals die Landesmusik- und die städtische
Musikschule fusioniert wurden. Zöge sich das Land nun zurück, so Groß, würde
eine Million Euro im 4,3 Millionen Euro Etat des Konservatoriums fehlen. Die
Stadt Dresden werde angesichts ihrer Haushaltslage kaum mehr als ihr bisheriges
Drittel zahlen können, die Eigeneinnahmen von immerhin 40 Prozent seien nicht
weiter durch neue Gebühren der Eltern zu erhöhen. Groß will deshalb in der
kommenden Woche der Mitgliederversammlung die Auflösung des Vereins
vorschlagen. Den 100 Mitarbeitern werde dann vorsorglich gekündigt. Die
künstlerische Direktorin des Konservatoriums, Ina Kronesser, spricht vom
„drohenden Kahlschlag an Unterrichtsmöglichkeiten“, und fragt, ob das die
sächsische Antwort auf die Pisa-Studie sei. In der Bautzener Musikschule wird
ohne die Landesmittel das Geld für 17 der 26 Lehrer fehlen. Landesweit würden
tausende Kinder „lehrerfrei“ bekommen.
Bereits vor zwei Jahren
hatte der Freistaat versucht, die Musikschulen an die Kulturräume zu
delegieren. Wohl weißlich, dass die Mittel der Kulturräume bereits für die
Theater, Orchester, Kulturhäuser und anderer Einrichtungen nicht einmal
ausreichten. Damals verhinderte der Protest von Pädagogen, Schülern,
Prominenten, Parlamentariern und der Einsatz des Kunstministers Hans Joachim
Meyer die Umsetzung. Und damals war laut Kulturraumgesetz eine Förderung von
Schulen nicht gestattet. Das Gesetz wurde daraufhin geändert.
Gegen das erneute Vorhaben
regt sich auch diesmal Widerstand. Unterschriften-Aktionen laufen bereits. Für
„unverändert unabdingbar“ hält der zuständige Arbeitskreis der CDU-Fraktion die
staatliche Musikschul-Förderung. Schließlich bilde „die Arbeit der Schulen in
hoher Qualität eine prägende Grundlage für kulturelles Schaffen im Land“,
erklärt der kulturpolitische Sprecher Roland Wöller. Man wisse um die schlechte
finanzielle Lage des Freistaates, sehe aber die angespannte Situation in den
Kulturräumen, wo jeder Cent mehrfach umgedreht werde.
Die Wahl zwischen
Zu- oder Plattmachen
„Der Freistaat wälzt nur
seine Probleme auf uns ab“, meint Gaby Petzold vom Kulturraum Elbtal. Dieser
Raum gilt als einer mit effizienten Strukturen. Geschäftsleitungen, die sich
nicht an wirtschaftliche Vorgaben gehalten haben, wurden abgelöst.
Lohnerhöhungen oder Inflationsausgleiche wurden nicht durch Kulturraummittel
finanziert. Mehr als 250 000 Euro würde die Förderung der Musikschulen kosten.
Genau jene Summe, die bislang zur Förderung von Festivals in Moritzburg,
Meißen, Batzdorf, für die Karl-May-Festtage, die Sommerakademie,
Literaturwerkstatt, Kasperiade ... zur Verfügung stand. Ihr Kulturbeirat nennt
die Konsequenz: „Wir können wählen, entweder die Musikschulen zu- oder andere
langfristig von uns mit entwickelte Kulturprojekte plattmachen.“
Die fünfjährige Lisa-Marie
nimmt Geigenunterricht am Dresdner Heinrich-Schütz-Konservatorium. Die Zukunft
dieser und anderer Musikschulen ist derzeit fraglich, da der Freistaat die
Förderung einstellen will.Foto: SZ/Marion Gröning
MUSIKSCHULEN IN SACHSEN
Rund 40 000 Schüler
erhalten derzeit an den 35 Musikschulen Unterricht, knapp 750 werden besonders
gefördert.
500 haupt- und 280
nebenamtliche Lehrer geben Unterricht. Vom hohen Niveau der Ausbildung in
Sachsen zeugen jährlich viele Ehrungen und Preise etwa bei Wettbewerben. So
nahmen beim jüngsten Bundeswettstreit „Jugend musiziert“ 143 Sachsen teil und
errangen 97 Preise, darunter 20 mal 1. Preise.
Etwa 7 500 Konzerte
gestalten Sachsens Musikschüler jährlich und erreichen damit fast eine Million
Besucher.